Dichter, Theaterautor, Filmemacher und Übersetzer, Das war Thomas Brasch. Die Familienbiografie ist besonderes Interessant, weil sie eine Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt. Der 23-jährige Brasch verteilte in der DDR Flugblätter gegen die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968. Sein eigener Vater ist ein hoher SED-Funktionär und stellvertretender Minister. Er lieferte ihn daraufhin an die Polizei aus. Für den Sohn bedeutete die Treue zu Partei des Vaters Haft und Folter.
Nachdem er 1976 in den Westen ging, veröffentlichte er das Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“.Jetzt schrieb die Tochter, Marion Brasch, den „Roman meiner fabelhaften Familie“. Die 51-jährige Journalistin und Radio-Eins-Moderatorin ist die einzig Lebende noch. Mutter Gerda und Vater Horst Brasch sowie der mittlere Sohn Klaus, Hauptdarsteller im DEFA-Klassiker „Solo Sunny“, sind seit über 20 Jahren tot. Thomas Brasch und der jüngste Sohn Peter, auch Schriftsteller, starben 2001.
![]() | Ab jetzt ist Ruhe: Roman meiner fabelhaften Familie Marion Brasch |
Um die historische Tragweite des Buches ermessen zu können, muss man die Hintergründe kennen. Im Buch heißen die Personen nur „Vater“ oder „ältester Bruder“. Die Familie sei mit dokumentarischer Wahrhaftigkeit dargestellt. Bei den anderen Figuren habe Marion Brasch freier fabuliert. Neben der Icherzählerin Marion stellt der Vater eine zweite Hauptfigur dar. Der Vater, ein mächtiger Staatsfunktionär, konvertierte vom Judentum zum Katholizismus. Während des Krieges wird er im englischen Exil zum gläubigen Kommunisten. Mit den drei Brüdern fechtet er erbitterte Kämpfe aus.
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DEFA-Klassiker „Solo Sunny“ |
Marion Brasch erzählt ihre Geschichte im lakonische Ton. Kleiner werden die Ereigneisse davon nicht. Marion Brasch wählt für ihre genauen Beobachtungen die Perspektive der scheinbar kleinen Schwester am Rande. Im beiläufigen Erzählton formuliert sie ihre eigene Geschichte und steigt nicht in den literarischen Ring ihrer Dichter-Brüdern.
Im gleichen Tonfall registriert Marion Braschs Erzählerin, wie Gefühle von Liebe bei ihr immer wieder „verblassen“ – „einfach so“. Als sei dies kein großes Thema, berichtet sie offen von den Heimsuchungen ihrer „fahlen Gefährtin“ - einer Essstörung. Inmitten ihrer von der Geschichte zerrissenen Familie in einer zerrissenen Zeit. Nebenbei wird das buch so zu einem großen Buch über die Liebe oder ihre Abwesenheit.
„Abwesend“, denkt die Erzählerin am Ende des Romans. An einem Neujahrsmorgen legt sie auf drei Berliner Friedhöfen fünf Rosen für die Toten ihrer Familie nieder: „Jetzt seid ihr alle abwesend.“ Und dann: „Ab jetzt ist Ruhe.“ Jeden Abend sagten diese vier Wörter die Geschwister, bevor die Mutter das Licht löschte. Ein Ritual, um böse Geister zu vertreiben. Der Satz bündelt die Dringlichkeit, die man beim Lesen spürt: „Ab jetzt ist Ruhe“ musste geschrieben werden, damit die Autorin Ruhe finden konnte – mit einer Sprache, bei der die Erinnerung nicht verstummt.
Anderer Art sind die Erinnerung an Thomas Brasch, die der Schauspieler und Theaterautor Klaus Pohl geschrieben hat. Er folgt in seinem Buch „Kinder der Preußischen Wüste“ ebenfalls der Biografie des rebellischen Funktionärssohns. Ende der siebziger Jahre sorgte Brasch im Westen mit Stücken wie „Lovely Rita“ und „Rotter“ für Furore. Seine Filme „Engel aus Eisen“ (1981) und „Der Passagier“ (1988) wurden international ausgezeichnet. Nach 1989 verschrieb er sich an einem gigantischen Prosaprojekt. Doch Pohl erzählt neben Brasch auch die Lebensgeschichte der Sängerin Sanda Weigl. Sie kommt, wie Brasch, aus einer jüdischen Remigrantenfamilie, die zur DDR-Elite gehörte. Beide verteilten gemeinsam 1968 die Flugblätter gegen den Einmarsch in Prag. Auch Weigl wurde verhaftet und kam ins Gefängnis. Danach reiste sie später nach Westberlin aus. Die beiden waren früh ein Liebespaar und arbeiteten zusammen. Heute ist Weigl mit Klaus Pohl verheiratet. Beiden leben in New York. Kennengelernt hatten sie sich in den Westberliner Jahren, als Pohl in Braschs Filmen und Stücken auftrat und mit dem Autor ebenfalls befreundet war.
![]() | Die Kinder der Preußischen Wüste Klaus Pohl |
Pohl ist selbst Zeitzeuge jener Biografien und hat wie kaum jemand anderes Zugang zu den engsten Weggefährten um Weigl und Brasch. Die Namen der Personen hat er zwar geändert, aber alles beruht auf einzigartigen Kenntnissen über die Untersuchungshaft und Gerichtsprozess vom Sommer 1968 oder zur Künstlerszene Westberlins. Hier könnte Literatur zur Geschichtsschreibung werden. Nur Pohl findet kein Verhältnis zu den Materialien, die ihm zur Verfügung stehen.
Schon mehrfach wurde über Thomas Brasch geschrieben. Bei Peter Schneiders „Mauerspringer“ (1982), in Barbara Honigmanns „Alles, alles Liebe“ (2000) und in Florian Havemanns „Havemann“ (2007). Wie Pohl waren alle drei eine Zeitlang enge Wegbegleiter Thomas Braschs.
![]() | Der Mauerspringer Peter Schneider |
![]() | Alles, alles Liebe! Barbara Honigmann |